KLANGINSTALLATION | AUSSTELLUNG: GERUCH IN DER KUNST

„Literatur Public-Art: Odem 1–9“

Odem 1/9 – Der Duft

Odem 2/9 – Vögel an der Leine

Odem 4/9 – Botenstoffe

Zu Sabine van Lessen Werk:
ODEM 1 – 9
von Dr. Ingmar Lähnemann, Kurator der Städtischen Galerie Bremen
Textliche Plastik, Hybrid von Literatur und Skulptur

Im Rahmen der Ausstellung „Olfaktor: Geruch gleich Gegenwart“, dem Beitrag der Städtischen Galerie Bremen und des Bremer Verbands bildender Künstlerinnen und Künstler BBK zum Kooperationsprojekt „Smell it! Geruch in der Kunst“ von zehn Bremer Institutionen der Gegenwartskunst, hat Sabine van Lessen neun Hör-Stücke unter dem Titel „ODEM“ verfasst und selbst als Aufnahme eingesprochen. Sie wurden als Klanginstallation im Außenraum der Städtischen Galerie Bremen kontinuierlich abgespielt, kurze Stücke von knapp einer Minute, die mit mehrminütigen Pausen aufeinander folgten. Dabei war die besondere Situation auf der Rückseite der Galerie am Deich der Kleinen Weser ein wesentliches Kriterium für die zeitliche Abfolge. Mit dem viel genutzten Fuß- und Radweg, mit der Wiese am See, die im Sommer von Badenden bevölkert wird, und mit der langen Parkbank, die sich direkt unter den Lautsprechern befand, boten die kurzen Hör-Stücke eine Überraschung, wenn sie sich unerwartet in diese Situation einmischten. Während sie für die Menschen auf der Wiese eine ferne, nicht ganz verständliche Stimme waren, zogen sie an den Passantinnen vorbei wie ein Hauch, der denjenigen Einhalt gebot, die ihn deutlich gespürt bzw. gehört hatten. Es ließ sich beobachten, wie häufig Menschen erst irritiert und dann neugierig und schließlich zuhörend stehen blieben. Dieses bewusste Rezipieren der dennoch unaufdringlichen Texte wurde denjenigen geboten, die sich auf der Bank niederließen. Es handelt sich um textliche Plastiken, also ein Hybrid von Literatur und Skulptur. Sie stecken einen bestimmten Raum klanglich ab und definieren ihn, für den sie teilweise ortsspezifische Referenzen zu beinhalten scheinen, was entsprechend die Hörenden direkt integriert. Sie werden damit zu Protagonistinnen dieser literarischen Miniaturen. Indem sich die neun Texte wesentlich auf den Geruchssinn beziehen, wird die sinnliche Ansprache des Publikums erweitert. Die Stücke, die primär mittels des Gehörs rezipiert werden, entfalten sich in Beziehung zur visuellen Wahrnehmung der Umgebung, in der sie sich automatisch verorten. Über den Textinhalt werden zusätzlich Gerüche evoziert, die fast unmerklich eine synästhetische Erfahrung ermöglichen.
Auch wenn alle ODEMS um Gerüche und Geruchserlebnisse kreisen, mal direkter, mal beiläufiger, entfalten sie weitläufigere Narrationen – oder vielmehr Narrationsangebote – die inhaltliche Zusammenhänge andeuten, die das (meist spontane) Publikum durch seine eigene In-Beziehung-Setzung zu Geschichten formt. Und zwar unabhängig davon, ob sie die Texte eher als lyrische Prosaminiaturen, als Kurzgeschichten oder als Ideenskizzen wahrnehmen, was sie jeweils sein könnten. Die literarische Form ist ebenso unentschieden (und vielleicht unerheblich) wie die Zuordnung als literarische oder bild-künstlerische Intervention im öffentlichen Raum.
Das Thema des Geruchs/der Gerüche, das alle neun Hör-Stücke, alle neun Textplastiken, verhandeln, geht hierbei eine faszinierende Wechselwirkung mit der Darstellungs- und Rezeptionsform der Arbeit ein, die dazu führt, dass sie so nachhaltig wirken kann. Wie ein Geruch wird man von jedem ODEM angeweht, kann sich ihm kurzzeitig nicht entziehen (es sei denn, man hält sich sogleich statt der Nase die Ohren zu). Es prägt sich durch seinen spezifischen Inhalt und dadurch, dass man neugierig wissen will, worum es sich handelt, sogleich ein. Und zwar unabhängig, ob man bewusst weiter zuhört oder ob man mit einem Fragment vorbeigeht. Und dann verbindet man den spezifischen Ort des Deichs hinter der Städtischen Galerie, das Wetter in diesem Moment, das Bild, das sich drumherum bietet, die Menschen, die einem begegnen, mit der „Geruchserzählung“, die man gerade zufällig bezeugt.
Wahrscheinlich haben die wenigsten Hörer*innen bewusst alle neun ODEMS hintereinander gehört, obwohl diese Arbeit durchaus als kontinuierliche Lesung im Programm der Ausstellung zu verstehen war, sondern sind mit dem oft nur teilbewussten Sinneseindruck weitergegangen. Damit allerdings haben sie nicht nur eine Erzählung zum Geruch gehört, sondern etwas vom Wesen des Geruchs selbst erfahren.

Technische Realisation: Kelke van Lessen